Die Europäische Sumpfschildkröte zu Besuch am THI

 

Foto: Stefanie Pietsch

Neulich stattete eine kleine Schildkröte den Beschäftigten des Tierhygienischen Institutes (THI) einen Besuch ab und sagte ihnen im Innenhof fröhlich „Hallo!“. Als mir dies berichtet wurde, wusste ich gleich, um welche hübsche Schildkröte es sich handelte. Ich hatte sie seit einiger Zeit auch schon in der Nähe unseres Hauses beobachten können. Ich ließ letztes Jahr meine Entdeckung von „NABU“ (Naturschutzbund Deutschland) bestätigen, denn ich hatte schnell den Verdacht, dass es sich um eine Europäische Sumpfschildkröte handeln könnte.

Die Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis)  ist die einzige Schildkrötenart, die wild in Deutschland vorkommt. Bis ins 17./18. Jahrhundert gehörte sie zum typischen Erscheinungsbild der Fauna in den Oberrheinischen Auenlandschaften. Bis – welch Überraschung! – der Mensch dafür sorgte, dass sie nun vom Aussterben bedroht sind.  Ab dem Mittelalter bis in die 40er Jahre des letzten Jahrhunderts waren sie eine beliebte Speise, denn bei den frommen Katholiken galten sie als Fisch. Daher waren sie vor allem zur Fastenzeit auf vielen Speiseplänen und wurden munter zu „feinsten“ Speisen verarbeitet. Bei meiner Recherche fand ich ein Rezept aus dem „Neuesten Universal- oder Großen Kochbuch“ der Anna Dorn (Wien, 1827):

Man zergliedert drey überbrühte ausgelöste Schildkröten ganz klein, macht eine Einbrenn, gibt die Schildkröten hinein, dünstet sie ab und lässt sie, wenn man Petersilienwasser darüber gegossen hat, aufsieden, drückt Limoniensaft daran, thut Limonienschalen, Gewürz und Saffran dazu, und richtet die Suppe über gebähte Semmelschnitten an“ – vom Nachkochen möchte ich Ihnen allerdings dringend abraten.

Bei Ausgrabungen einer Latrinenanlage eines Mönchsklosters in Österreich fand man unfassbare Mengen an Schildkrötenknochen und -panzern, aber auch Fischreste und Biberknochen. Den Mönchen dieses Klosters war der Verzehr von „warmblütigen Tieren“ nicht erlaubt, wohl aber von Tieren des Wassers.

Foto: Dr. Michael Suntz

Hier in Deutschland war vor allem der Markt in Speyer bekannt für den Vertrieb der Delikatesse und von dort wurden die Tiere bis weit über die Region hinaus verkauft. Bis sie aus ihrer natürlichen Umgebung verschwanden.
Aber nicht nur der große Hunger des Menschen setzte den Beständen zu. Die Zerstörung ihrer Lebensräume durch z.B. Flussbegradigungen oder das Absenken des Grundwassers und die landwirtschaftliche Intensivierung sorgten dafür, dass es einzig in Brandenburg noch natürliche Vorkommen gibt. Hier bei uns oder auch anderen Regionen sind es zumeist ausgesetzte oder entlaufene Tiere. Oder durch Wiederansiedelungsprojekte des „NABU“, wie zum Beispiel in einem Altrheingebiet in Rheinland-Pfalz. 
Die Europäische Sumpfschildkröte ist das Reptil des Jahres 2015 und auf der „Roten Liste“ als vom Aussterben bedroht geführt. Auch die ganzen ausgesetzten, invasiven Nordamerikanischen Schmuckschildkröten machen ihnen das Überleben nicht einfacher. Diese breiten sich massiv aus und verteidigen ihr Revier mitunter sehr aggressiv. Zu unterscheiden sind sie durch die Färbung und Größe, denn die Europäische Sumpfschildkröte wird nur maximal 20cm groß. Zudem hat sie einen dunklen Körper mit gelben Punkten und einen verhältnismäßig langen Schwanz. Sie können bis zu 100 Jahre alt werden und ernähren sich in erster Linie von Würmern, Muscheln, manchmal auch kleinen Fischen und Fröschen. Wenn nichts anderes da ist oder bei hoher Wärme, fressen sie auch gerne mal Wasserpflanzen. Bemerkenswerterweise können sie nur im Wasser fressen, an Land können sie die Nahrung nicht schlucken. Falls ihnen mal etwas „durch Zufall“ in den Schlund gerät, müssen sie schnell ins Wasser eilen, um das ganze herunterschlucken zu können.
Männchen und Weibchen lassen sich anhand der Panzerform und der Augenfarbe unterscheiden. Weibchen haben gelbe Augen und Männchen rötlichbraune. Aber egal, ob Männchen oder Weibchen: in der Suppe haben sie nichts zu suchen! Und „aufsieden mit Limoniensaft“, um sie auf „gebähten Semmelschnitten“ darzureichen wollen wir sie auch nicht. Was bin ich froh, dass sich unsere Verhaltensweisen und Essgewohnheiten auch ändern können, finden Sie nicht auch? Erfreuen wir uns doch lieber an dem ein oder anderen Tier, das sich wieder in unserer schönen Heimat ansiedelt.
 

Stefanie Pietsch

 

Quellen:

Europäische Sumpfschildkröte | Startseite | LfU (brandenburg.de) /  Die Europäische Sumpfschildkröte – NABU Rheinland-Pfalz
Europäische Sumpfschildkröte – Emys orbicularis (Linnaeus, 1758) – Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg (baden-wuerttemberg.de) / Europäische Sumpfschildkröte (Emys orbicularis) – Deutschlands Natur (deutschlands-natur.de)
Als Schildkröten auf unserem Speiseplan standen – Essen & Trinken – derStandard.de › Lifestyle